Shopper- und POS-Forschung: Supermarkt der Zukunft

Tante Emma-Laden vs. digitalisierter Einzelhandel: Back to the Roots oder real gewordenes Science Fiction-Shopping? Wie sieht die Zukunft der Supermärkte aus? Diese Fragen klären wir im Gespräch mit Markus Radtke, Senior Research Manager für Shopper- und Point-of-Sale-Forschung in der GIM.

Wenn du an Supermärkte oder Supermarktkonzepte der Zukunft denkst – was fällt dir spontan dazu ein?
Zwei Schlagwörter sind diesbezüglich momentan en vogue und werden die Zukunft stark prägen: Erlebnis und Technisierung. Die beiden Begriffe hängen auch miteinander zusammen, da man versucht, mit der Technisierung auch das Erlebnis zu steigern und auf Kundenbedürfnisse einzugehen.

Was wäre da ein Beispiel?
Die ganzen Mobile-Services: Abgesehen von der Möglichkeit so etwas wie Coupons günstig zu platzieren, ermöglicht man dem Kunden zusätzliche Informationen abzurufen. Letzteres bringt dem Handel unmittelbar erst mal nichts, aber dem Kunden das gute Gefühl, dass der Handel etwas für ihn tut. Dieses  „Erlebnis“ – hier die Interaktionsmöglichkeit für den Kunden – bringt dem Händler dadurch natürlich eine Distinktion. Erlebniswelt im klassischen Sinne bedeutet, vom „nackten“ Einkauf wegzugehen und sich Richtung Erlebniseinkauf und Shoppingcenter-Atmosphäre zu bewegen. Das kann man ja gut bei Supermärkten wie Rewe und Edeka sehen, da gibt es zum Beispiel Boutiquensysteme oder Essensmöglichkeiten. Man will sich so von den Discountern abgrenzen, die in der letzten Zeit sehr stark gewachsen sind und einen großen Marktanteil erobert haben.

Inwiefern haben sich Discounter verändert?
Konsumenten nehmen Discounter heute nicht mehr als den „klassischen“ Discouter wahr, so wie es vor fünf Jahren noch der Fall war. Der Anspruch der Kunden war damals „Es ist nicht schön und ich bekomme kein breites Sortiment, aber dafür den besten Preis“. Heute betrachtet der Käufer den günstigsten Preis aber schon als Voraussetzung und hat auch beim Discounter einen gewissen Anspruch an die Einkaufsqualität, zumindest hinsichtlich des  Sortiments. Der Handel reagiert darauf und fokussiert sich stärker auf den Auftritt einzelner Kategorien, indem zum Beispiel mehr oder besondere Marken gelistet werden.

Für den Kunden verschwindet immer mehr der Unterschied zwischen Discounter und Supermarkt. Der Werbespot von Penny macht dies deutlich. Es steht hier das “Penny-Markenerlebnis” im Vordergrund, nicht der günstige Preis. Die Abdeckung durch Discounter ist mancherorts so groß, dass sie die Supermärkte verdrängen – der Discounter als klassischer Nahversorger sozusagen. Der Supermarkt bietet nicht den gleichen Preis und stellt für den Shopper aber auch keinen wirklichen Mehrwert dar. An dieser Stelle versuchen Supermärkte durch Erlebnisatmosphäre sehr stark aufzuholen. In den größeren Hyperformaten werden zum Beispiel hochwertigere Materialien verarbeitet – sprich Holzregale und spezielles Licht. Es wird aber auch mehr Service angeboten wie zum Beispiel Öffnungszeiten bis 24 Uhr, Geldabheben an der Kasse oder kostenlose Weinproben. Der Slogan von Rewe „Besser leben“ veranschaulicht das ganz gut – man will dem Shopper hier ein Lebensgefühl vermitteln.

In Berlin hat ja jetzt am Samstag der Supermarkt “Original unverpackt” eröffnet, ein Lebensmittelladen der komplett auf Plastikverpackungen verzichtet und nur regionale und saisonale Produkte anbietet. Auch in Kiel verzichtet der Lebensmittelladen “Unverpackt” vollends auf abgepackte Ware und bietet vorwiegend regionale und saisonale Produkte an. Inwiefern haben solche Konzepte Zukunft?

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Original unverpackt: Berlins erster verpackungsfreier Supermarkt eröffnete am Samstag (13.09.) seine Pforten. Dank einer Crowdfunding-Kampagne kamen knapp 115.000 € an finanzieller Unterstützung und große Befürwortung für die Umsetzung des Konzepts zusammen. Nähere Informationen dazu findet Ihr hier. Quelle: Original unverpackt.

Ich kann mir vorstellen, dass solche Konzepte in einem gewissen Rahmen Erfolg haben, weil in Städten wie zum Beispiel Berlin die Käuferschaft, die auf so etwas Wert legt, groß genug ist. Ob das allerdings massentauglich wird bleibt abzuwarten. Sicher nicht in nächster Zeit. Die Themen Nachhaltigkeit und Ökologie werden zwar immer mehr im Mainstream wahrgenommen, sollen aber nicht auf Kosten des Komforts gehen. Wenn diese Märkte keinen weiteren Mehrwert bieten als den rein ökologischen Faktor, dann sehe ich darin erstmal keine Massentauglichkeit. Von einer gewissen Avantgarde wird dieser Trend sicherlich vorangetrieben, aber sicherlich nicht in so einer Masse wie es bei Aldi oder Rewe der Fall ist.

Könnten solche Konzepte trotzdem Vorbildfunktion für klassische Supermärkte haben?
Bei großer und langanhaltender Resonanz könnte es sein, dass Supermarktketten wie Rewe sich Gedanken darüber machen, etwas Ähnliches vielleicht umzusetzen. Supermärkte und Dicounter sind momentan extrem auf der Suche, womit sie Käufer ansprechen können.

Ein Kampf um die Aufmerksamkeit des Konsumenten…
Genau. Diese Bio-Welle wird grade zum Beispiel von den Discountern auch stark mitgetragen. Die wollen natürlich keinen Trend verpassen. Sprich: wenn es jetzt nicht bei dem einen Laden in Berlin oder Kiel bleiben sollte, sondern irgendwann auch in anderen Großstädten solche Märkte aufmachen, dann kann es gut sein, dass die jetzigen Supermärkte das adaptieren und so den Kunden in ihren Laden locken möchten. Aber das sehe ich noch als sehr langen Weg.

Kiel
Unverpackt – lose, nachhaltig, gut: In Kiel gibt es seit Februar diesen Jahres einen Laden der ebenfalls nur lose und unverpackte Waren verkauft und so einen Beitrag zur Müllreduzierung und gegen die Lebensmittelverschwendung leisten möchte. Quelle: Unverpackt.

Wie sieht es mit dem Konzept eines Supermarktes ohne Personal aus? An der IKEA-Kasse bspw. können sich Kunden heute schon selbst abkassieren und Produktinformations-Scan-Apps machen Fragen an das Personal überflüssig – sieht so unsere Zukunft aus?
Das wird zwar seit ein paar Jahren getestet und teilweise in den USA und UK auch eingeführt, aber in Deutschland ist das noch nicht so ein großes Thema. In Großbritannien hat Tesco unter dem Slogan “Scan as you Shop” Scanapparate für seine Kunden eingeführt. Wie das funktioniert, kann man super an dem Foto unten erkennen: Der Kunde hat einen “eigenen” Scanner, mit dem er – zum Beispiel hier das Obst – einliest. Sobald das Gerät die Ware erfasst hat, kann der Kunde die Ware direkt in die Einkaufstüte verpacken. Gezahlt wird, indem man am Ende des Einkaufs den Barcode an der Kasse scannt und per Karte bezahlt. Es gibt auch sogenannte Self scanning-Kassen, wie man sie von IKEA kennt. Ich glaube aber, dass das nicht so stark vorangetrieben wird, weil das irgendwann aufgrund des Smartphones sowieso obsolet wird. Das heißt, man braucht wahrscheinlich irgendwann gar keine Kasse mehr. Das wird zwar nicht in naher Zukunft so sein, aber die Entwicklung geht tendenziell in diese Richtung.

Tesco (UK) Scan as you shop: Der Kunde scannt sein Obst in das Lesegerät ein. Quelle: Tesco.

In diesem Kontext: Multi-Channel ist ja das große Thema gerade. Hier geht es um die Frage, ob es in Zukunft überhaupt noch diese klassische Einkaufssituation geben wird. Der Kauf wird immer individueller möglich sein und wahrscheinlich eher mit einem mobilen Endgerät stattfinden. Die Logistik wird dann verstärkt zunehmen, das merkt man auch heute schon. Supermärkte konkurrieren in ihren Logistikketten bereits jetzt mit großen Onlineanbietern, die dort in der Regel besser aufgestellt sind. Das wird immer mehr zum Differenzierungsmerkmal – je schneller man liefern kann, desto eher hat man einen Vorteil.

Einige Supermärkte bieten ja schon „Lieferung am selben Tag“ oder termingenaue Lieferung, wie zum Beispiel Rewe. In naher Zukunft sehe ich daher Lieferlogistiken eher als große Herausforderung des Handels als Self-Scanning Kassen. Es wird in Zukunft wahrscheinlich viel mehr Möglichkeiten des Einkaufens geben als heute. Der ganze Prozess, eine Waschmaschine zu kaufen hat sich zum Beispiel in den letzten zehn Jahre völlig verändert. Genau so wird auch das Supermarkterlebnis ein komplett anderes sein als jetzt.

Könnte man also vermuten, dass künftig etablierte Produkte wie die Zahncreme oder die Milchpackung eher online bestellt werden, während bei neuen oder kostspieligen Produkten das Einkaufserlebnis und die Beratung gesucht wird?
Ja. Vielleicht gibt es sogar eine Entkopplung davon. Der Kühlschrank, der sozusagen direkt mit dem Supermarkt verhandelt, dass gewisse Produkte nachgefüllt werden sollen. Dieser Kreislauf würde ohne mein Zutun funktionieren, ich muss nur noch bestätigen und dann wird es geliefert. Die Technik des selbstbestellenden Kühlschranks gibt es ja schon. Er merkt sich, was fehlt oder was du so kaufst. Also auch hier wieder die Thematik, die funktionalen Kreisläufe über Technik zu automatisieren. Wenn man dann den Gang zum Geschäft macht, dann muss der sich auch lohnen. Das kann ein besonderes Storeerlebnis sein – vielleicht gehe ich dann wieder in den Tante Emma Laden um die Ecke.

Der Einkauf wird sich als solcher in Zukunft also fragmentieren?
Genau. Das Frische-Segment wie Obst, Milchprodukte, etc. das sehe ich beispielsweise momentan noch nicht online. Vielleicht kommen da dann wieder ältere Modelle auf, wie zum Beispiel der klassische Markt. Bei der Musik ist es ähnlich: Wenn ich alles zu Hause bestellen kann, dann hat das für eine gewisse Zeit seinen Reiz. Irgendwann führt das alles aber dazu, dass ich nur noch zu Hause bin und das will ich ja auch nicht. Ich will ja etwas erleben. Dann kommen vielleicht auch wieder so ganz antiquierte Konzepte in Mode.

Eine Rückbesinnung?
Eine Rückbesinnung auf das Einkaufen wie vor 50 Jahren – vielleicht könnte das ein Thema sein. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Aber nochmal zurück zur Situation der Supermärkte: Man merkt, dass die Händler grade alle sehr nervös sind, weil keiner will den Trend verpassen. Jeder denkt sich „Wenn ich jetzt einer der ersten Vorreiter bin, dann habe ich einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz.“ Der Lebensmitteleinzelhandel ist ein wirklich sehr umkämpfter Markt.

Ein wirklich hochspannendes Thema. Ich könnte noch stundenlang mit dir über dieses Thema weiter reden. Markus, ich danke Dir für deine Ausführungen, war super interessant!
Ja bitte, habe ich doch gern gemacht.

Markus radtke
Markus Radtke, Senior Research Manager für Shopper- und Point-of-Sale-Forschung in der GIM.

Mehr Informationen zur Expertise der GIM im Bereich Point of Sale (POS) Forschung findet ihr auf unserer Homepage.

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Comments (1)

[…] das generelle Reduzieren von Müll ebenfalls ein wichtiger Lösungsansatz. Über Plastik-freie Verkaufskonzepte sowie über nachhaltige Verpackungskonzepte haben wir in der Vergangenheit bereits […]

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