In unserer Rubrik “Am Kicker mit” erhalten wir von unseren GIM-Kollegen spannende Einblicke in unterschiedliche Marktforschungs-Themen. Dr. Stephan Telschow, Corporate Director für den Shopper Research-Bereich der GIM, über die besonderen Herausforderungen zur Forschung am Point of Sale (POS).
Hallo Stephan und herzlich Willkommen am Berliner Kicker-Pendant!
Hallo, Lena!
Unsere Heidelberger Kollegen wetteifern ja seit einiger Zeit am Tischkicker, hast du denn Tipp-Kick-Erfahrung?
Nein, eigentlich gar nicht. Aber ich bin ja gelernter Sportsoziologe, da sind mir merkwürdige Sportarten zumindest theoretisch nicht fremd.
Dann bin ich gespannt, wie sich dein Vorwissen in der Praxis auswirkt. Ich habe ja extra vorher an der Miniatur-Torwand geübt. Dann lass uns mal anspielen: Du forschst seit knapp zwei Jahrzehnten im Bereich Shopper Research. Was muss man sich darunter eigentlich vorstellen?
Eigentlich ganz einfach: Es geht um den Teil des Konsumenten, der sich im Handel mit Produkten, Marken und Services auseinandersetzt. Ich finde es ja immer etwas schwierig, von dem Shopper zu sprechen und so zu tun, als wäre das ein anderer Mensch; als hätte der Shopper nichts mit dem Konsumenten zu tun. Insofern geht es uns auch immer um den Bezug: Wie wirken sich die Nutzungserwartungen an ein Produkt auf die Kaufkriterien aus? Welchen Einfluss hat die Alltagsorganisation darauf, wie man tatsächlich einkauft?
Ok, es geht also vielmehr um eine ganzheitliche Sichtweise und nicht „nur“ um das Handeln beim Einkauf selbst?
Genau, wir gehen davon aus, dass jeder Einkauf durch eine bestimmte Motivkonstellation, die Shopping-Mission beschrieben werden kann – sei es, dass es um Versorgung geht, wenn ich rasch was fürs Abendessen brauche; um die Motivation Sparen, wenn ich die Handzettel verschiedener Discounter studiere oder um Smartness, wenn ich für den Waschmaschinenkauf dutzende Nutzerbewertungen im Internet durcharbeite. In welchem Handelskanal ich mich dann informiere und wo ich einkaufe, ist dann die Frage, wie Motiv und Handelskonzept übereinstimmen.
Während ich gespannt zuhöre, ist auch schon das erste Tor gefallen. Ich muss mich ranhalten…Für welche Branchen forscht ihr, bzw. wer sind Eure Kunden?
Wir forschen vor allem für Markenartikler. Zwar interessiert sich natürlich auch der Handel für seine Shopper, oft werden hier aber Projekte gemeinsam mit Markenartiklern betrieben. Das heißt, wir forschen zum Beispiel für einen Hersteller von Pflegeprodukten, der dann seinerseits die Research-Ergebnisse nutzt, um mit einem Drogeriemarkt die gesamte Abteilung für Gesichtspflege zu optimieren.
Klassisch kommt Shopper-Research natürlich aus den FMCG-Kategorien, in den letzten fünf Jahren haben aber auch viele andere Hersteller das Thema für sich erkannt, so dass wir auch viel in Elektro- oder Baumärkten unterwegs sind oder auch in Service-Kontexten, wie Banken oder der Systemgastronomie.
Das ist interessant – wie müssen wir uns in diesen Bereichen Shopper-Research vorstellen? Was sind da Unterschiede, eben beispielsweise zu FMCG?
Es geht weniger um die Unterschiede, als vielmehr um Ähnlichkeiten. Die Fragen, die wir uns als Forscher stellen müssen sind sehr ähnlich: Wie kann man eine Marke erlebbar, greifbar machen? Wie sorge ich für eine gute Orientierung, so dass der Kunde weiß, wo er in einer (Einkaufs- bzw. Bank-) Filiale was tun sollte? Wie kann ich Angebote gut kommunizieren? Das alles ist nur etwas schwieriger, weil ich ja oft keine Produkten habe, die mir bei der Kommunikation helfen.
Was sind denn derzeit die wichtigsten “Shopper-Trends“ – falls man das so salopp sagen kann.
Oh je, da ist natürlich aktuell durch den Bedeutungsgewinn von eCommerce besonders viel Bewegung drin. Aber das macht es auch spannend: Vor zehn Jahren ging es in Deutschland nur um mehr Verkaufsfläche und günstigere Preise. Heute sprechen wir sehr viel mehr über Verkaufskonzepte – Pop-up-stores, Concept Stores – oder neue Handelsformate – den City-IKEA in Hamburg oder auch Abhol-Konzepte wie bei real Drive, um nur wenige zu nennen. Dazu beschäftigen wir uns intensiv mit digitaler Kommunikation am POS, zum Beispiel Digital Signage oder Kiosk-Systemen.
Du hast es gerade schon angesprochen: eCommerce. Themen wie „Digitalisierung“ und „Virtualisierung“ prägen ja nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch immer stärker den Konsum, z.B. der riesige Online-Shopping-Markt. Wie geht die Shopper Forschung damit genau um?
Ganz spannend: Insbesondere viele unserer FMCG-Kunden haben sich mit dem Thema nie so richtig beschäftigt. Erst in den letzten zwei, drei Jahren versuchen sie, sich das Thema von den eCommerce-Agenturen und Online-Händlern wieder zurückzuholen.
Für uns ist der eCommerce ein Kanal wie jeder andere: Für den Shopper hat er ein bestimmtes Profil, es gibt Vor- und Nachteile und natürlich eine bestimmte Art und Weise, dort einzukaufen. Aber das trifft genauso auf den Unterschied zwischen einer Parfümerie und einem Drogeriemarkt zu. Insofern versuchen wir für die jeweilige Produktkategorie das spezifische Online-Profil zu verstehen und abzuleiten, wie sich die Marke dort verkaufen muss. Und da ist noch viel zu tun: Denk mal allein an Online-Klamotten-Shopping. Das funktioniert noch immer nach dem klassischen Kriterien-Selektions-Konzept „Zeig mir alle Kurzmäntel, alle in Rot, alle in Größe 46, alle zwischen 100 und 150€“. So würdest Du doch aber nie einen Mantel in einem Klamottengeschäft kaufen, oder?
Wäre bei meinem nächsten Einkauf zumindest mal ein Versuch wert 🙂 Wenn man sich umschaut, findet das Bewerben von Produkten ja auf allen Kanälen statt: Welche Rolle spielt letztlich die Beeinflussung unmittelbar vor dem Kauf? Gibt es da Unterschiede zwischen den Zielgruppen?
Wir haben uns in letzter Zeit viel damit beschäftigt, wie unsere digitalen Shopping-Erfahrungen das Einkaufen insgesamt beeinflussen. Da gibt es einige wichtige Entwicklungen. Shopper kaufen heute sehr viel informierter ein, weil man sich einfacher umfassend zum Beispiel über den Waschmaschinenmarkt informieren kann. Andererseits verunsichert die Informationsflut online aber auch: Wer bei Amazon nach Waschmaschinen sucht und alle Sucheinstellungen ausreizt, findet immer noch 40-50 vergleichbare Produkte die dann in hunderten Bewertungen beschrieben werden. Digital Natives können mit dieser Unsicherheit ganz gut umgehen und entscheiden dann sozusagen „gefühlt gut informiert“. Ältere Konsumenten arbeiten diese Informationsflut tatsächlich oft noch systematisch durch, auf der Suche nach der wirklich rational besten Entscheidung. Letztlich scheitern sie daran aber häufig und verlassen sich lieber auf die Empfehlung eines Verkäufers bei Media-Markt.
Kann ich gut nachvollziehen. Wo wir gerade bei Technik sind: Worin bestehen die besonderen methodischen Herausforderungen der POS-Forschung? Welche Rolle spielt zum Beispiel der methodische Einsatz von Technik?
Wir waren eigentlich schon immer sehr multimethodal unterwegs. Es ist ganz einfach so: Die wenigsten Leute können halbwegs beschreiben, wie sie beim Einkaufen vorgehen. Probiere mal, wenn du das nächste Mal in der Kassenschlange stehst, dich zu erinnern, was alles in deinem Einkaufswagen liegt. Du wirst etliches vergessen haben. Von daher versuchen wir immer Beobachtung und Befragung, qualitative und quantitative Methoden zu kombinieren und möglichst realistische Shopping-Situationen zu beschreiben. Dazu setzen wir natürlich auch viel Technik ein: Video-Kameras, Eye-Tracking-Brillen, Apps, Location Tracker oder virtuelle Shop-Simulationen.
Ich sehe, ich werde bei meinem nächsten Einkauf auf ganz andere Dinge achten. Noch schnell ein Blick in die Zukunft: Was sind aus Deiner Sicht die wichtigsten Entwicklungen in der POS-Forschung – bei welchen Themen werden wir unsere Kunden am intensivsten beraten müssen?
Eine große Herausforderung wird sicher sein, die Shopper an der Schnittstelle zwischen Online und Offline zu verstehen. Ich glaube, hier muss „Online“ noch viel über wirkliche Shopper-Bedürfnisse lernen. Umgekehrt hat „Offline“ derzeit ein klares Positionierungsproblem und muss sich überlegen, wie es die Vorteile physischer Präsenz und erlebbarer Nähe zum Shopper für sich nutzen kann.
Okay, es bleibt spannend! Stephan, vielen Dank für die interessanten Einblicke in Deinen Forschungsbereich. Ich hatte ja sehr auf ein Unentschieden gehofft, aber zum Schluss steht es doch 2:1 für Dich, Glückwunsch. Dafür habe ich aber einiges Neues erfahren und werde meinen nächsten Einkauf definitiv mit anderen Augen sehen. Tschüss!
Gerne, Lena – und Du bekommst sicher eine Chance auf Revanche…
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[…] das war das 2:0. Kann es sein, dass Dir Tipp Kick besser liegt, als Kickern? Nur nicht zu früh freuen. Mein Spiel ist hinten raus durchaus […]