Wer die qualitative Marktforschung kennt, kennt auch Teststudios und Gruppendiskussionen. Und saß bestimmt schon einmal hinterm Spiegel im Beobachtungsraum, wenn nicht gar davor.
Das Setting hinterm Spiegel: schwere Kost
Stundenlanges Sitzen im Dunkeln, zur Stille verpflichtet, vielleicht gedrängt und in stickiger Luft, unbeweglich auf den Stuhl gebannt, konzentriert, still verpflichtet, Blick und Aufmerksamkeit auf das Geschehen „auf der Bühne“ zu richten. Krächzende Akustik, womöglich zwangsläufige Monotonie einer einzigen Übersetzerstimme. Das Geschehen vor dem Spiegel sicherlich interessant, aber doch alles in allem trockene Kost. Das ist Forschung, aber auch reales Geschehen, wieder kehrende Aussagen, gar 3 Stunden am Stück, ohne Pause und nicht das Lime-Light einer theatralischen oder cineastischen Inszenierung. Keine scharfen Plot-Points, Action, großen Dramen, oder Happy Ends. Keine Soap, kein Theater, kein Kino, eher eine intensive Dokumentation. Das ist anstrengend, kostet Konzentration, braucht Willen und sicher auch Können und geschulte Fertigkeiten, um dabei zu bleiben und viel mit zu nehmen. Es lohnt sich, da bin ich überzeugt.
Das Verhalten hinterm Spiegel: Selters
Wie gebiert man sich in dieser Trockenheit? Oftmals so: ernst und alle voll konzentriert und bei der Arbeit: Der Laptop zugeklappt, das Smartphone in der Tasche und auf stumm geschaltet, vor sich der Block mit Notizen, allenfalls leise kurze Gespräche, ein Glas Wasser, daneben evtl. „Was Leichtes“: ein paar Rohkoststicks, Dip, etwas Vollkornbrot. Ruhe bitte und protestantische Arbeits- und Bildungsethik! Hier soll man doch etwas lernen und mitnehmen. Still sitzen, nicht bewegen. Nicht mit Kollegen reden, die man selten – zumindest außerhalb des Büros sieht. Spaß ist fehl am Platz, Respekt vor der Forschung und dem Konsumenten (nun der sollte immer da sein, das sind schließlich auch Menschen und auch noch entscheidende) – kurz: Selters!
Die andere Realität: Sekt!
Läuft es immer so ab? Nein, häufig auch so: Gläser klirren, Stühle rücken, Handies klingeln, ein Kommen und Gehen, klackernde Tastaturen, Gesprächsfetzen, Lachen und Gekicher, oder auch Meetings im Meeting, die Telko neben der Gruppe, 30 Mails werden abgearbeitet. Dazwischen Sushi, Weißwein, Pizza und Bier, M&Ms, Schokoriegel oder lecker Häppchen. Ja, ein lebhaftes Treiben, bewegt, aber scheinbar nicht wegen der Gruppe, die da läuft. Sind diese Zuschauer (und Kunden) denn wirklich dabei? (Heimlich) verdammt der Moderator/Forscher vor dem Spiegel allzu gerne mal – und vielleicht auch vorschnell – solch lebhaftes Treiben in seinem Rücken. „Das ist doch nur Spektakel, die bekommen doch gar nichts mit, und ich darf mich hier abstrampeln – und auch noch dafür sorgen, dass auch ausgefallene Wünsche in Erfüllung gehen: Telko-Einwahl, High-speed Internet für 8, vegane Pizza, Absatzreperatur, noch mehr kühles lokales Bier, wo kann man hier rauchen, glutenfreien Kuchen – alles kein Problem“ – kurz: Sekt!
Was ist also „angemessen“?
Darüber kann man vortrefflich streiten. Mein Standpunkt: Gruppendiskussionen sind auch ein Anlass, sich zu treffen und auszutauschen. Steht auch nicht zumindest auf der ‚hidden agenda‘ Teambuilding als Zielsetzung? Ein neues Team oder neue Mitglieder sollen sich finden, kennen lernen. Gruppendiskussionen sind da ein schöner und gut begründbarer rationaler Anlass. Aber wie macht man Teambuilding? Weniger rational, eher ‚offline‘ und informeller. Ja, so mancher Backroom wirkt manchmal wie eine Station auf einem Betriebsausflug. Man tauscht sich aus, lässt es sich gut gehen, plaudert, redet aber auch ‚Business‘ dazwischen.
Na, und, warum nicht?
Spaß zu haben ist kein Verbrechen, und drei Stunden still sitzen und ins Dunkel starren ist nicht wirklich einfach (und menschlich). Damit will ich nicht sagen, dass es keine Grenzen und Regeln geben sollte – und der Anlass der Zusammenkunft sollte nicht zur reinen Nebensache werden. Es sollte Sekundärnutzen bleiben – aber dennoch etwas zum Anstoßen, oder? Gleichzeitig sind Gruppendiskussionen (oder Einzelgespräche) auch ein Communitas-Erlebnis in zweifacher Hinsicht: Man übersteht die Dunkelzeit gemeinsam (das verbindet!) und es schafft einen gemeinsamen Bezugsrahmen: Wer dabei war, hat das und das gesehen gehört und das und das verstanden. In der gemeinsamen (Lern-)Erfahrung entsteht gemeinsames Verständnis, von Details, Zusammenhängen, etc. – und das trägt weit(er) als so mancher Powerpoint-Bericht. Es lohnt sich!
Deshalb: Sekt UND Selters – wohl bekomm‘s!
Von Dr. Gerhard Keim