31. März 2021 | Fabian Oppel
chon einmal haben wir im Radar über den Fall berichtet: Das Hamburger Start-Up „Lemonaid“ schlägt sich seit 2018 mit Behörden herum, weil die vertriebene Limonade weniger Zucker enthält, als im deutschen Lebensmittelbuch vorgeschrieben war (Link). Jetzt geht die Auseinandersetzung in die dritte Runde: Lemonaid soll auf seinen Getränken Warnhinweise zum geringen Zuckergehalt anbringen.
Was bisher geschah
Welches Produkt sich mit welchem Namen schmücken darf, ist im deutschen Lebensmittelbuch klar definiert: mindestens sieben Prozent des eigenen Gewichts musste bei Limonade aus Zucker bestehen. Die Maracuja-Limo der Hamburger besteht allerdings nur aus 5,5 Gramm Zucker pro 100 Millilitern. Lemonaid war daraufhin mehrfach abgemahnt worden – um das vertriebene Produkt weiterhin „Limonade“ bezeichnen zu dürfen, sollte der Zuckergehalt erhöht werden!
Das politische Moment an der ganzen Geschichte: Während die Bundes-Ernährungsministerin Julia Klöckner freiwillige Zucker-Reduzierung bei Lebensmitteln fordert, wurden die Limo-Produzenten aufgefordert, mehr Zucker ins Getränk zu packen. Deswegen hatten die Hamburger im vergangenen Herbst eine Klöckner-Statue aus Zucker vor dem Ministerium errichtet. Noch am selben Tag verlautete das Ministerium, dass es von der ihm unterstehenden Lebensmittelkommission erwarte, die entsprechenden Leitsätze zu prüfen.
Der Vorschlag zur Güte: Hinweis vor zu wenig Zucker
Tatsächlich sind die Regelungen im Lebensmittelbuch nicht rechtlich bindend. Jedoch richten die Verbraucherschutzbehörden ihre Abmahnungen nach den Definitionen, die davon vorgegeben werden. In der Zwischenzeit ist die Leitlinie geändert worden: Nun ist die Rede von einem „üblichen Gesamtzuckergehalt von sieben Gramm pro 100 Milliliter oder mehr“ – nicht mehr von einem verpflichtenden Minimum.
Der Kompromiss-Vorschlag: Abweichungen vom üblichen Zuckergehalt müssen kenntlich gemacht werden. Im Klartext: Lemonaid soll doch bitte die Verbraucherinnen und Verbraucher mit einem Hinweis darauf aufmerksam machen, dass das Produkt die Zuckervorgaben unterschreitet.
Die Reaktion der Hamburger: „Wir fanden die geplante Regelung der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission so absurd, dass wir sagten: Alles klar, machen wir.“ Wie Zigarettenschachteln erhielten die Flaschen der Brause-Produzenten Aufkleber, die vor zu wenig Zucker warnten.
Konsequenzen für Lemonaid
Würde der Vorschlag der Kommission tatsächlich umgesetzt, wären die Folgen für das Limo-Start-Up wirtschaftlich verheerend: Die bisherigen Mehrweg-Glasflaschen sind mit permanentem Keramikdruck gestaltet, der sich nicht einfach ändern lässt. Im Interview mit ZEIT Online (Link) erklärt der Geschäftsführer Felix Langguth: „Die neue Regel hätte zur Folge, dass wir Millionen Mehrwegflaschen wegschmeißen und neu produzieren müssten. Nicht gerade nachhaltig. Aber das ist nicht mal das größte Problem. Die neuen Leitsätze sind aus Prinzip schon völlig absurd.“
Einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Lemonaid zufolge ist – entgegen der Haltung der Lebensmittelbuch-Kommission – 68% der Befragten ein geringer Zuckeranteil in Limonade wichtig. 72% der Befragten wünschen sich demnach einen Hinweis, wenn Limo viel oder sehr viel Zucker enthält.
Wie geht es weiter?
Die Hamburger haben eine offizielle Einwendung zum Änderungsentwurf der Leitsätze eingereicht und hoffen, dass die Thematik damit abgeschlossen werden kann. Wenn das nicht der Fall sein sollte, würde man mit dem Ministerium direkt in Dialog treten. Felix Langguth im Interview mit ZEIT Online: „Ganz ohne öffentlichen Druck scheinen wir in der Zucker-Frage ja leider nicht weiterzukommen.“
Header-Bild: Lemonaid.
Dazu passt die parallele Auseinandersetzung zwischen Ritter und dem Bundesernährungsministerium sowie dem Landesverbraucherschutzministerium (was für Wort-Monster!) in BaWü, ob ein zu 100% aus Kakao bestehendes Produkt Schokolade genannt werden darf. Denn: Es enthält eben überhaupt keinen Zucker. Daher leitet sich der Name des “Was-auch-immer”-Produkts ab: “Cacao y nada”.
Genauer gesagt: Das Produkt enthält keine “Zuckerart”! Denn diese werden in unseren Landen von einer “Zuckerartenverordnung” definiert, und da steht nun mal nichts von einer Kakaopflanze als Zuckerart drin.
Der Fall ist hier insofern ein bisschen anders gelagert, als laut Lebensmittelzeitung die Ministerien in diesem Fall sogar durchaus offen gewesen wären für die Benennung als “Schokolade” – auch ohne explizite Zuckerart! Ritter Sport hat sich dagegen auf den Standpunkt gestellt: “Wegen der Zuckerartenverordnung dürfen wir das Produkt ja gar nicht Schokolade nennen.” Da widersprechen nun die Ministerien und wollen den “Schwarzen Peter” nicht in die Schuhe geschoben bekommen. Prompt musste sich Ritter Sport seinerseits dagegen wehren, das Verordnungs-Bashing als PR-Gag zu missbrauchen.
Jedenfalls hat Ritter Sport das gleiche Thema erfolgreich in der Öffentlichkeit lanciert – juristische Feinheiten hin oder her. Die Anfang des Jahres zum Verkauf (im eigenen “Schoko-Laden” und online) angebotenen 2.300 Tafeln der Limited Edition waren ruck-zuck verkauft. Am 5.2. um 9 Uhr wurde auf den eigenen Internet-Seiten nochmal Nachschub angekündigt. 4h später, um 13 Uhr, dann das Update: “Ausverkauft!”
Der Kunde scheint es also auf jeden Fall zu mögen – auch ohne “Zuckerart”!
Vielen Dank für das Teilen. Ich werde wiederkommen