Diese Woche wird wieder gekickert – dieses Mal mit unserem Kollegen Dr. Jörg Munkes. Jörg ist Diplom-Psychologe und verantwortet als Corporate Director den quantitativen Forschungsbereich der GIM. Seit seiner Promotion im Bereich Sozial- und Persönlichkeitspsychologie hat er ein besonderes Interesse an psychografischer Zielgruppenforschung. Am Kicker interviewen wir Jörg zu Impliziten Verfahren – einer aktuell viel diskutierten Methode in der Marktforschung.
GIM Radar: Hallo Jörg, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für ein Gespräch und Spiel nimmst!
Sehr gerne!
Unser Thema heute: „Implizite Verfahren“. Kannst Du uns zu Beginn eine kurze Definition geben?
Klar, ich kann aber nicht garantieren, dass sie kurz wird: Implizite Verfahren beschäftigen sich mit Einstellungen und Handlungen, die unbewusst und automatisch abgerufen bzw. ausgeführt werden. Unterschieden werden diese von expliziten Verfahren, die erfordern, dass die erfragten Inhalte dem Bewusstsein zugänglich sind.
Okay, was heißt das konkret?
Ein Kochrezept ist beispielsweises explizites Wissen, da ich es bewusst aus dem Gedächtnis abrufen kann. Das Kochen selbst umfasst aber auch implizite Handlungen, da ich beispielsweise Gemüse schälen kann, ohne darüber nachdenken zu müssen, wie ich Gemüse und Messer jetzt genau halten muss. Kinder, die zum ersten Mal Gemüse schälen, müssen hierüber noch viel mehr nachdenken – für sie ist es eine explizite Handlung.
Und wie kommt es dazu, dass Manches explizit und Anderes implizit ist?
Entscheidend ist die Lernerfahrung, wobei ich mit „Lernen“ hier nicht vom Büffeln in der Schule spreche. Damit ist vielmehr der beiläufige Erwerb von Einstellungen oder Verhaltensweisen gemeint. Menschen handeln zwar häufig bewusst, viele ihrer Verhaltensweisen erfolgen aber unbewusst bzw. automatisch, da sie eben gut gelernt sind.
Meine Kicker-Skills sind also noch kein implizites Wissen?
So würde ich das nicht sagen, zwei Tore hast du ja auch schon gemacht 😉 Um beim Kicker-Beispiel zu bleiben: Lerne ich einen neunen „Move“ beim Kickern, dann muss ich die Bewegungen zu Beginn sehr bewusst ausführen – entsprechend langsam sind die Bewegungen. Je öfter ich die Bewegungen ausführe, desto schneller werden sie bis der Ablauf vollständig automatisiert ist. Ähnliches erlebt man auch, wenn man zur Arbeit pendelt: Die ersten Tage musste man sich noch auf den Weg konzentrieren und irgendwann findet man den Weg so automatisch, dass man sich unter Umständen gar nicht mehr an Einzelheiten des Weges erinnern kann: Der Weg zur Arbeit wird also unbewusst abgerufen und ist somit implizites Wissen geworden. Aber nicht nur Handlungen werden gelernt und mit der Zeit unbewusst abrufbar – auch Meinungen und Einstellungen werden gelernt und können somit automatisch aktiviert werden.
Das heißt es geht darum, unbewusste Meinungen oder Einstellungen sichtbar zu machen?
Ja genau, darum geht es. Einstellungen sind wichtig, da sie Verhalten bestimmen können. Beim Beispiel mit dem Weg zur Arbeit kann die negative Einstellung, dass öffentliche Verkehrsmittel schmutzig und unpünktlich sind dazu führen, dass das eigene Auto bevorzugt wird. Und um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Einstellungen müssen dabei nicht explizit gebildet bzw. gelernt werden, d.h. ich muss mir nicht zwangsläufig Gedanken gemacht haben, ob öffentliche Verkehrsmittel schmutzig oder unpünktlich sind. Die persönliche Erfahrung oder auch die Erzählungen über öffentliche Verkehrsmittel führen dazu, dass die Einstellung implizit gelernt wird.
Und wie misst man solche impliziten Verhaltensweisen oder Einstellungen?
Hierfür gibt es eine Vielzahl impliziter Verfahren, denen allen gemeinsam ist, dass sie sich nicht auf den Selbstbericht des Befragten verlassen, sondern seine impliziten Reaktionen messen. Ich habe ja gerade erzählt, dass implizite Verhaltensweisen automatisch und somit sehr schnell ausgeführt werden. Entsprechend wird häufig auch die Reaktionszeit bei vielen impliziten Verfahren berücksichtigt.
Kannst Du uns ein Beispiel für ein konkretes implizites Verfahren geben?
Der Implicit Association Test – kurz IAT – ist sicherlich das bekannteste implizite Verfahren. Hierbei muss ein Befragter beispielsweise Worte als positiv oder negativ kategorisieren, indem er mit er linken Hand eine Taste bei positiven Wörtern drückt und mit der rechten Hand eine Taste bei negativen Wörtern betätigt. „Intelligent“ könnte so ein positives Wort sein und „dumm“ ein negatives Wort. Im nächsten Schritt muss er dann in gleicher Weise Vornamen nach männlich und weiblich ordnen, in dem er auch wieder mit der linken oder rechten Hand Tasten drückt. Spannend wird es, wenn beide Aufgaben kombiniert werden, also abwechselnd Namen und Wörter geordnet werden sollen. Die linke Hand steht dann beispielsweise für positive Worte und weiblich, während die rechte Hand negative Worte und männlich bedeutet. Sind Worte und Geschlecht auf den Tasten übereinstimmend bzw. „kongruent“ belegt, ist die Reaktionszeit geringer: Hat der Befragte beispielsweise die Einstellung, dass Männer dumm sind, dann sollte die Kategorisierung von Namen oder Worten in diesem Fall schneller funktionieren.
Das klingt so, als seien implizite Verfahren mit einem besonders hohen Aufwand verbunden?
Ja, das ist leider so. Während eine klassische Abfrage der Einstellung mit einer Skala nur einige Sekunden dauert, zieht sich ein IAT über mehrere Minuten hin. Die Logik hinter den Verfahren ist für den Laien häufig auch nicht ganz einfach nachzuvollziehen.
Von impliziten Verfahren ist momentan aber dennoch überall in der Marktforschung zu hören – wie kommt es, dass gerade diese Methode aktuell so boomt?
Ansätze der „Behavioral Economics“ erhalten in der Marktforschung verstärkt Aufmerksamkeit. Diese stellen eine Abkehr vom „Homo oeconimicus“ dar, der alle seine Entscheidungen wohl überlegt und rational trifft. Tatsächlich entscheiden Menschen aber sehr viel mit Hilfe von Heuristiken also einfachen Daumenregeln und auf Basis von impliziten Einstellungen. Implizite Verfahren erlauben nun eben, diesen nicht-rationalen Teil des Menschen sichtbar zu machen.
Wo macht der Einsatz von impliziten Verfahren besonders Sinn?
Grundsätzlich machen implizite Verfahren dann Sinn, wenn Menschen über ihre Einstellungen nicht sprechen wollen oder können. Entwickelt wurden sie im Rahmen der Vorurteilsforschung, da Menschen ihre Vorurteile häufig nicht offen äußern wollen oder sie sich ihrer Vorurteile auch gar nicht bewusst sind. Das IAT Beispiel, von dem ich gerade erzählt habe, kommt aus der Forschung zu Geschlechterstereotypen.
In der Marktforschung ist der Einsatz besonders bei Konsumgütern sinnvoll, die gewohnheitsmäßig gekauft werden, wie Schokolade oder Joghurt. Hier findet die Kaufentscheidung im Supermarkt innerhalb weniger Sekunden auf Basis impliziter Einstellungen statt.
Anders ist dies bei Produkten, die nach längerer Überlegung gekauft werden, wie es häufig bei Investitionsgütern der Fall ist.
Das heißt in solchen Fällen greift man besser zu expliziten Messverfahren?
Genau. Hier spielen implizite Einstellungen eine geringere Rolle, da der Kauf stärker durch die bewusst zugänglichen, expliziten Einstellungen und Erwartungen bestimmt wird.
Werden beide Verfahren – explizit und implizit – häufig kombiniert?
Es ist sehr sinnvoll beide Verfahren zu kombinieren, da es nur zwei Seiten derselben Medaille sind: niemand entscheidet nur implizit oder nur explizit, daher sollten auch beide Maße erhoben werden. Erkenntnis liegt auch häufig im Widerspruch der beiden Maße: Stehen die expliziten Maße für den Kopf oder den Verstand, dann stehen die impliziten Maße für das Bauchgefühl. Spannend wird es, wenn sich Kopf und Bauch widersprechen.
Was bedeutet das für die Praxis?
Zeigt mir eine Studie beispielsweise nach einer Werbekampagne, dass die expliziten Einstellungen zur Marke in Richtung modern gehen, bei den impliziten Eigenschaften aber weiterhin Tradition im Vordergrund steht, so ist das ein klarer Hinweis, dass der Kopf die Botschaft der Kampagne bereits verstanden hat, der Bauch die Botschaft aber noch nicht verinnerlicht hat. Hier muss also weiter kommuniziert werden und eventuell auch die Werbebotschaft noch geschärft werden.
Kannst Du nochmal kurz zusammenfassen: was sind die Pros und Cons impliziter Verfahren?
Implizite Verfahren bieten eine weitere Erkenntnisdimension jenseits des Rationalen. In Kombination mit expliziten Verfahren sind dadurch bessere Verhaltensprognosen möglich. Der Aufwand, den impliziten Verfahren erfordern ist aber eben auch erheblich.
Was ist aus Kundensicht hierbei zu beachten?
Implizite Verfahren sind kein Wundermittel und für ihren Einsatz und ihre Interpretation ist ein hohes Maß an Expertise erforderlich. Werden sie richtig eingesetzt können sie wertvolle Erkenntnisse bringen. Gleiches gilt übrigens für explizite Verfahren… auch diese müssen richtig eingesetzt werden, um Erkenntnisse zu bringen.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: werden implizite Verfahren Deiner Meinung nach weiter an Bedeutung gewinnen?
Ich denke, dass implizite Verfahren ihren festen Platz in der Marktforschung haben werden. Der aktuelle Hype wird aber sicherlich einer gewissen Ernüchterung weichen – auch weil aktuell viele Verfahren mit dem Label „implizit“ versehen werden, selbst wenn sie gar keine impliziten Verfahren sind.
Vielen Dank für Deine Zeit und das Gespräch!
Zum Spiel: Obwohl Jörg zu Beginn in Führung lag, hat Laura mit 10 zu 8 gewonnen. Wahrscheinlich, weil Jörg mit dem expliziten Erklären der impliziten Verfahren so beschäftigt war, dass er das Toreschießen vergessen hat oder er war einfach zu langsam 🙂
Wenn ihr Fragen zum Thema habt, könnt ihr euch gerne direkt an Jörg wenden: j.munkes@g-i-m.com
Wer mehr zu Impliziten Verfahren erfahren will, kann sich auf unserer Homepage informieren oder Jörg’s und Simone Renner’s aktuellen Artikel „Im Widerspruch liegt Erkenntnis“ auf research&results lesen.