GIM-Designforscher auf dem Vitra-Campus: Inspiration pur!

In regelmäßigen Abständen machen sich KollegInnen der GIM auf die Suche nach besonderen Inspirationen. Ein Ziel, das kürzlich von einem der Teams angesteuert wurde, ist der Vitra-Campus in Weil am Rhein. Dr. Sigrid Schmid war als Teil des GIM-Designforschung-Teams dabei – und hat für Radar eine lebendige Erlebnisreportage verfasst.

Wieso der Vitra-Campus?

Ein faszinierender Ausflug in die Welt von innovativen Ideen der Raumgestaltung und des Produktdesigns. Design Thinking von der Pieke auf und voller Inspirationen nicht nur für unsere Design-Forscher im engeren Sinne, sondern für alle Marktforscher. Sinneswahrnehmungen und das Spiel mit Sinnen und Sinnlichkeit gehören in vielfacher Hinsicht zu unserer Arbeit: heutige Markeninszenierungen und Werbung kommen genauso wenig ohne sie aus, wie gute Workshops und spannende Präsentationen. Das war der Ausgangspunkt, weshalb wir uns gedacht hatten: auf nach Weil am Rhein!

Jedes Gebäude ist auf seine Art inspirierend !

Was auf den ersten, flüchtigen Blick wie eine bloße Ansammlung verschiedener Gebäude unterschiedlicher Baustile aussieht, entpuppte sich bei näherer Betrachtung als ein wohl durchdachtes, sinnvolles Arrangement, das sowohl funktional als auch schön ist – obendrein voller überraschender Einblicke und interessanter Hintergrundgeschichten.

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Wer hätte gedacht, dass der transportable „Dome“ – ein Plastikhaut-Gebäude, das man auch in Heidelberg eine Zeitlang als Ersatzunterkunft für die Oper genutzt hat – bereits in den 1970er Jahren kreiert wurde!

Sehr gestaunt haben wir auch über die betonierte Bogen-Verbindung zwischen zwei Produktionsgebäuden: Als es plötzlich zu regnen anfing, senkte sich der ganze Betonbogen ab und erfüllte damit bestens die Funktion eines Regenschutzes für alle, die zwischen den beiden Gebäuden hin und her mussten.

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Da kann der Regen kommen: Clevere und gleichermaßen nützliche Architektur.

Für uns alle höchst faszinierend war der Gang durch das Zaha Hadid Feuerwehrhaus (eine Feuerwache): einfach erstaunlich zu erleben, dass ein mega-massives Haus aus meterdickem Beton so kunstvoll mit den Sinneswahrnehmungen seiner Besucher spielen kann, dass man nicht mehr weiß, ob der Boden flach oder abschüssig, die Wand gebogen oder gerade ist.

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Kunstvolles Spiel mit den Sinnen im Zaha Hadid Feuerwehrhaus.

Hier haben wir uns alle lange getummelt und haben es fasziniert genossen, getäuscht zu werden. Es gibt ja viele Situationen im Leben, wo man getäuscht wird, ohne es zu merken. 4_opt Täuschung

Bei optischen Täuschungen durch Bilder oder Architektur wird das „Bewusst-getäuscht-Werden“ ja zum besonderen Genuss: es ist einem schon klar, dass man auf einen Trick herein fällt, aber es macht umso mehr Spass, weil man den Wirkmechanismus miterleben kann. Das war toll! Man kann die Feuerwache übrigens auch für Veranstaltungen buchen – sicher ein perfektes Umfeld für Workshops wo Out-of the-box-Thinking gefragt ist!

Auch neue Anregungen für den Job bekommt man hier

Sofort wohlgefühlt haben wir uns alle in dem Konferenzpavillon von Tadao Ando. Der japanische Architekt hat hier aus Beton ein Haus in einen alten Kirschgarten gesetzt, dessen Konferenzräume alle mit Fenstern bis zum Boden ausgestattet sind und einem das Gefühl vermitteln, direkt im Grünen zu sitzen.

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Minimalistisches Design und zeckmäßige Architektur: Konferenzpavillon von Tadao Ando (Copyright Vitra, Fotograf: Julien Lanoo)

Einzig die Natur lenkt in diesen Konferenzräumen von den Themen ab und lädt in japanischer Tradition dazu ein, die Gedanken durch den Blick auf Zweige oder Gräser in konzentrierte Reinheit zu bringen.

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Fußweg zum Konferenzpavillon von Tadao Ando: Reflexion und Konzentration.

Zur Japan-Faszination trägt auf dem Campus auch ein weiteres Gebäude bei: die weisse Logistikhalle von SANAA. Von der lernt man: Nicht kleckern, sondern klotzen! Juwelen gibt es eben nicht für kleines Geld. Um dieses riesige Gebäude mit einem großen weißen Vorhang aus Plexiglas-Wellen einzuhüllen und damit der rohen Funktionalität einer Lagerhalle zu einer fast außerirdischen Schönheit zu verhelfen (die jeden Lageristen in Richtung Himmelsbewohner rückt) – um das zu schaffen, musste halt mal ein extra Ofen gebaut werden, mit dem die 12 Meter langen Plexiglas-Paneele produziert werden konnten.

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Der Blockbuster unter den Gebäuden auf dem Vitra-Campus:  Die SANAA-Halle, die als Logistik-Zentrum dient (Copyright Vitra, Fotograf: Julien Lanoo)

Das hört sich echt nicht billig an. Aber das Ergebnis war es wert. Und es kehrt die üblichen Bau-Hierarchien um: Lagerhallen werden ja architektonisch eher vernachlässigt. Und normalerweise würde man den größeren Aufwand in die Firmenzentrale oder andere Repräsentativbauten stecken. Auf dem Vitra-Campus ist die SANAA-Halle definitiv das aufwändigste Gebäude.

Grcic-Ausstellung: so viel Cutting Edge auf einem Fleck!

Am Vormittag das Gelände mit den Gebäuden, am Nachmittag noch die aktuelle Ausstellung, die es ja auf dem Vitra-Gelände auch immer gibt. Die Führung durch die Ausstellung war hervorragend, die Begeisterung der Führerin hat sich direkt auf uns übertragen. Hier gab es auch nochmal Inspirationen satt.

In einem Raum wurde versucht, die Art wie der Industriedesigner Konstantin Grcic assoziativ designt, darzustellen. Gegenstände waren wie eine Dominokette aufgebaut und man konnte perfekt verstehen, wie er sich von der Farbe seiner Alltagsgegenstände (Reklamheft) zu Stühlen hat inspirieren lassen, wie seine Spagetti-Presse ihn auf eine neue Herstellungstechnik für lange Aluminium-Paneele brachte oder wie sein alter 64er Computer die Form eines Hockers beeinflusst hat. Das war echt faszinierend! Durch die Nebeneinander-Gruppierung wurde der geniale Erfinder quasi beim Arbeiten transparent. Leider durften wir dort keine Fotos machen.

Toll waren auch die Erklärungen zu Gegenständen, deren Besonderheit man einfach nicht gesehen hätte, weil man sich zu wenig auskennt. Zum Beispiel ein Abfalleimer aus Porzellan, eimerartig und mit ca. 7cm großen Löchern in der Porzellanwand. Rein ästhetisch hat das keinen von uns so richtig angesprochen und man dachte: naja, nicht alles ist genial. Bis dann unsere Führung erklärte, dass es materialtechnisch wahnsinnig schwierig ist, solche gleichmäßigen großen Löcher in ein Porzellangefäß zu machen. Und dass Grcic mit der Porzellanfirma lange an der entsprechenden Technik gearbeitet hat, um eben aus dem Material Porzellan etwas ganz besonderes heraus zu holen. Wow!

Und der Effekt auf den Betrachter ist gar nicht so groß, wenn man nicht gerade ein Porzellan-Kenner ist. Das hat uns daran erinnert, dass unseren Kunden durch die Anschauung des Endergebnisses leider auch nicht immer klar ist, welche Arbeit und Expertise und Herzblut in einem Projekt oder Report steckt. Kann man nachvollziehen – nur wer etwas einmal selbst bearbeitet hat, kennt den Prozess und kann den Aufwand einschätzen. Jeder andere braucht Hilfestellung. Das merken wir uns.

Sandra: Die Grcic-Ausstellung, also einige seiner Designerstücke, hat mir auch ganz gut verdeutlicht, dass man das Rad nicht immer neu erfinden muss, um etwas Innovatives zu schaffen. Eine Verwendung im bisher fremden Kontext oder das Aufgreifen alter Ideen, die mit neuen technischen Möglichkeiten weiter entwickelt werden können, kann schon Innovatives schaffen. Das ist vielleicht etwas, was man auch für die Anwendung unserer Methoden mitnehmen kann.“

Gutes Beispiel für solche „kleinen“ Innovationen ist zum Beispiel ein Regenschirm, den er mal für den japanischen Markt designte. Er sieht aus wie jeder andere Regenschirm, hat aber das kleine besondere Feature eines Loches am Griff-Ende. In das können die Japaner wunderbar ihre verspielten kleinen Anhänger hängen, die sie ja auch an ihre Handies dran machen. Immer wieder überrascht haben uns auch seine Sessel – nicht der Ästhetik geschuldet, sondern der Funktionalität. Sahen echt nicht immer schick aus, und auch nicht immer bequem. Waren aber immer bequem. Konsequent aus der Nutzung her gerechtfertigt. Das war auch toll zu erleben – man konnte qua Anschauung echt kein faires Urteil abgeben, sondern musste sich erst mal drauf gesetzt haben. Auch eine gute Übung.

Wir sind Resonanzkörper für die Inspirationen, denen wir begegnen

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Reflexion und Diskussion inmitten der Vitra Design Klassiker.

Am Ende des Tages sind wir dann alle noch durch das VitraHaus, den Flagshipstore von Vitra, gestromert und hatten dabei viel Spaß. Bei den Büromöbeln haben wir gleich ein bisschen Arbeitsplatz gespielt – wer würde nicht gerne in kuscheligen Filz-Kuben von Ronan & Erwan Bouroullec arbeiten?

Und was wir von dort mitgenommen haben als wichtigste Inspiration: „Ein Klassiker startet nicht als Klassiker. Er startet als Ausbrecher.“ Ja, so wollen wir es halten, auch bei allem was wir selber tun und gestalten!

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Inspiriert – fasziniert – motiviert: so viele Ideen und Kreativität steckt an! Das GIM-Team, das den Vitra-Campus besuchte, am Ende des Events.

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